Es geschah am hellichten Tag

Der beliebte Schauspieler Heinz Rühmann steht für spaßige Filmminuten. Seine Feuerzangenbowle ist Kult und wird in ganz Deutschland vor allem zur Weihnachtszeit gefeiert. Doch Heinz Rühmann war mehr als nur der lustige kleine Mann, der beruhigende Schlaflieder Kindern vorsang. In „Es geschah am hellichten Tag“ sehen wir einen bitterbösen und ernsthaften Film, der auch nach fast 70 Jahren einem eine Gänsehaut beschert. Das liegt aber vor allem an den Bösewicht in diesem Film: Gerd Fröbe in seiner Rolle als Albert Schrott.

Es ist das Jahr 1958. Deutschland steht im Wirtschaftswunder, während die andere Welt, zumindest USA, Kanada und Südamerika, in der Rezession liegt. Im Radio tanzen die Leute zu Fred Bertelmann und seinem lachenden Vagabunden. Billy Vaughn schwärmt von La Paloma, später auch Freddy Quinn und Mitch Miller feiert seinen Pfeif-Marsch aus dem Klassiker „Die Brücke am Kwai“. Da wären wir dann auch in der Filmlandschaft. In Deutschland schauen Kinobegeisterte das „Wirtshaus im Spessart“ oder die Bibelverfilmung „Die zehn Gebote“ mit Charlton Heston. Da „rühmt“ (Achtung Wortspiel) sich plötzlich ein Film, den keiner so ganz auf dem Plan hat. Es ist eine schweizerische, deutsche und spanische Gemeinschaftsproduktion und spielt in der Schweiz. Regie führt der Spanier Ladislao Vajda, der zuvor noch die Komödie „Der Hund, der Herr Bozzi hieß“ drehte. Nun wagte er sich an seinen ersten deutschsprachigen Film. Das Drehbuch stammte von Friedrich Dürrenmatt, Hans Jacoby und dem Regisseur selbst. Friedrich Dürrenmatt wird dem einen oder anderen sicherlich etwas sagen, auch wenn es aus der Schulzeit ist. Seine Werke „Der Richter und sein Henker“ oder „Die Physiker“, „Der Besuch der alten Dame“ und „Der Meteor“ und andere Bücher erlangten Weltruhm. Dürrenmatt erhielt vom Schweizer Filmproduzenten Lazar Wechsler ein Jahr zuvor den Auftrag, das Drehbuch für den Film „Es geschah am hellichten Tag“ zu erstellen. Er verfasste schließlich die Vorlage zum späteren Drehbuch.

Ein Film muss nicht in Farbe gedreht sein, um zu wirken. Manchmal unterstreicht das Schwarz-Weiße als künstlerisches Merkmal die Tristheit und Grausamkeit. 1958 war es allerdings im deutschen Film noch üblich, in Schwarz-Weiß zu drehen. Was nicht üblich war, ist, dass ein Film gnadenlos ein Thema behandelt, welches normalerweise in der Gesellschaft verschwiegen wird. Hier geht es um einen Kindermörder, der auf eine abscheuliche Art und Weise seine Opfer aus niederen Beweggründen aussucht und umbringt. Gerd Fröbe muss in diesem Zusammenhang als erstes genannt werden, da seine Darstellung des Mörders Schrott ein Paradebeispiel für überwältigende Schauspielkunst ist. Einerseits sieht man ihn im Streit mit seiner herrschaftssüchtigen Ehefrau, gespielt von Berta Drews, der Mutter von Götz George, andererseits schwenkt Gerd Fröbe auf einen lustigen Puppenspieler und Zauberer gekonnt um, der kleine blonde Mädchen in den Wald lockt, nur mit dem einen Ziel, sie zu töten. Die Geschichte als solches wäre heutzutage in der immer grausameren Horrorfilmwelt bereits mit Schlucken verbunden. Was aber machte das 1958 mit den Filmschauenden? Gerd Fröbe schafft hier etwas Unglaubliches. Der Charakterdarsteller, der auch immer wieder in Komödien und Kinderfilmen auftrat, verkörpert hier das pure Grauen und eine Kaltherzigkeit, die seinesgleichen sucht. Es ist kein Zufall, dass 1964 Gerd Fröbe als Auric Goldfinger den besten Bond-Bösewicht der Filmgeschichte mimte.

Heinz Rühmann in der Rolle des Kriminalkommissars Dr. Matthäi von der Züricher Kantonpolizei macht in seiner ernsten Rolle seine Sache gut, auch wenn Gerd Fröbe im Grunde alle anderen Darsteller an die Wand spielt. Eigentlich sollte Rühmann auch gar nicht die Rolle des Dr. Matthäi spielen, denn zuvor hatte man den Darsteller Martin Held dafür vorgesehen. Doch jener war anderweitig beschäftigt und so fiel die Wahl auf Rühmann. Jener nahm an, aber nur unter der Bedingung, dass Hans Jacoby am Drehbuch mitarbeiten durfte. Friedrich Dürrenmatt war mit der Entscheidung, Heinz Rühmann die Rolle zu geben, nicht einverstanden. Er sei ihm zu bürgerlich gewesen. Der Schriftsteller war auch über das Ende des Filmes nicht angetan. Deswegen verfasste er seinen Kriminalroman „Das Versprechen“, welches er selbst als „Requiem auf den Kriminalroman“ bezeichnete.

Trotz dieser kleinen Differenzen stand am Ende ein Film da, der 1958 einmalig war. Grausam, spannend und schockierend wirkt der Streifen auch heute noch, wenn man sich als Zuschauer auf die Geschichte einlässt. Einer der wenigen Filme, die nicht schlecht gealtert sind – trotz Schwarz-Weiß.

Aber schauen wir noch am Ende etwas zu dem Score von Bruno Canfora. Der italienische Komponist schafft hier eine Spiegelung von der Darstellung des Herrn Schrott. Die Musik, einerseits fröhlich und losgelöst, wechselt plötzlich zu schweren Klängen – alles mit einem Hauch Lokalkolorit passend zum Drehort. Der Score ist kein Meisterwerk und bleibt auch nicht lange im Ohr, passt aber gut zum Film und seiner Charaktere.  

Apropos: Friedrich Dürrenmatts „Das Versprechen“ wurde 2001 vom Sean Penn verfilmt. Jack Nicholson, Benicio Del Toro, Mickey Rourke, Helen Mirren, Patricia Clarkson u.a. spielen in der Produktion mit. Die Kritik dazu erscheint demnächst hier.

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